Ruudi Leinus

Pastor der Talliner Mähe Baptistengemeinde


Estnische Geistliche, die Märtyrer wurden


Zuerst kurz über Estland


Die Fläche Estlands beträgt 45 228 (fünfundvierzig tausend zweihundert achtundzwanzig)

Quadratkilometer.

Einwohner gibt es in Estland eins komma drei Millionen.

Im Jahr 2011 war der Anteil von Esten 69,72%, Russen 25,2%, Ukrainern 1,74%, Weißrussen

0,97%, Finnen 0,59%, Tatarern 0,15%, Juden 0,15%, Letten 0,14%, Litauern 0,13% und Po-

len 0,13%.


Einige Worte über die Geschichte Estlands


Anfang des dreizehnten Jahrhunderts wurde Estland von den Kreuzrittern erobert und im

sechzehnten Jahrhundert fing eine Zeitperiode an, die durch verschiedene Kriege geprägt war

und die etwa einhundert fünfzig Jahre andauerte.

Nach dem Großen Nordischen Krieg (1700 -1721) gehörte Estland während mehr als 200

Jahre zum Russischen Imperium (1710–1917).

Als Ergebnis der Februarrevolution im Jahr 1 917 wurde Estland autonom und es wurde das

einheitliche Gouvernement Estlands gebildet, das jedoch bereits im Oktober desselben Jahres

wegen der bolschewistischen Staatswende zu seinem Ende kam. Von einigen nationalistisch

gesinnten Politikern wurde die Estnische Republik am 24. Februar 1918 proklamiert, aber die

Besetzung Estland durch deutsche Truppen endete erst im Herbst. Danach kam es zum

Estnischen Freiheitskrieg (in den Jahren 1918-1920), der mit dem Friedensvertrag von Tartu

am 2. Februar 1920 endete.

Im Jahr 1939 drängte Sowjetrussland Estland den sogenannten Vertrag der Militärbasen auf

und darauf folgte die vollständige Annexion im Jahr 1940. Es kam zu grausamen Massende-

portierungen. Zu ihrem Opfer fiel der größte Teil der estnischen Intellektuellen. 1941– 1944

lag Estland unter der deutschen Okkupation und danach fiel Estland erneut an die Rote Ar-

mee. Die sowjetische Besetzung dauerte insgesamt 47 Jahre. Massendeportationenwellen gab

es bis zu den fünfzigern Jahren und eine der größten Deportationen fand am 25. März 1949

statt. Danach wurde die physische Gewalt mehr oder weniger durch die geistige ersetzt.


Das Denkmal für die Opfer des Kommunismus Estlands


Nach der Okkupierung Estlands im Jahr 1940 fing die Sowjetunion an, aus den politischen

Gründen die Esten zu ermorden, gefangenzunehmen und deportieren.

Durch den Terror des Okkupationregimes hat Estland jeden fünften seiner Einwohner verlo-

ren.

Insgesamt wurden mehr als 75 000 Menschen entweder ermordet, gefangengenommen oder

deportiert.

Damit diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten, wurde das Denkmal vom Estnischen

Staat im Jahr 2018 errichtet errichtet. Es soll an sie alle erinnern und ist ihnen gewidmet.


Geistliche in Estland, die Märtyrer wurden


Das vom Estnischen Kirchenrat herausgegebene Buch (mit dem deutschsprachigen Titel

Geistliche Estlands, die Märtyrer wurden - in den Jahren 1917-1991) ist denjenigen Geist-

lichen gewidmet, die in den Anfechtungen ihren Glauben an Gott bewahrten und bereit waren,

dafür auch zu sterben.Im vorliegenden Buch sind solche Märtyrer Estlands dargestellt worden, die in diesem Land

in den Jahren 1917-1991 als Geistliche dienten. Gewissermaßen widerspiegelt sich im Buch

auch ein Stück der Geschichte Estlands. Diese Geistlichen hatten einen festen Glauben an

Gott, dem sie in unterschiedlichen Anfechtungen und Verfolgungen auch treu blieben und auf

eine oder andere Weise auf ihr Leben lassen mussten. Sie alle hielten die Gemeinschaft mit

Gott für kostbarer als alles andere, selbst ihr irdisches Leben.

Im Hebräerbrief Kapitel 13, Vers 7 heißt es: „Gedenkt eurer Führer, die das Wort Gottes zu

euch geredet haben! Schaut den Ausgang ihres Wandels an, und ahmt ihren Glauben nach!”

Das Wort Märtyrer heißt Zeuge.

Die Worte Jesu werden dadurch im direkten Sinne Wirklichkeit: „Größere Liebe hat niemand

als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde.” (Johannesevangelium 15, Vers 13)].

Ein Märtyrer sucht nicht den Tod, sondern legt Zeugnis für die Liebe ab.

Es war tatsächlich eine richtige Tat diese Lebensgeschichten in ein Buch zu sammeln, damit

solche Menschen nicht in Vergessenheit raten und damit wir alle an ihrem Beispiel etwas ler-

nen können.

Insgesamt gab es 66 Geistliche, die als Märtyrer starben, darunter 34 Lutheraner, 22

Orthodoxe, 2 Katholiken, 4 Methodisten und 4 Baptisten.


Im folgenden Teil ein kleiner Überblick über die bekanntesten Märtyrer


Gotthilf Traugott Hahn (13.02.1875 - 14.01.1919) war Theologe, der im Januar

1919 durch die Bolschewiken ermordet wurde. In Tallinn hatte er das Gymnasium besucht,

danach lernte er auch in Sankt Petersburg und studierte in den Jahren 1893-97 Theologie

sowohl in Tartu als auch in Göttingen. In den Jahren 1899 bis 1902 diente er an der Gemeinde

Oleviste in Tallinn und danach, in den Jahren 1902 bis 1919, in Tartu, als Pastor der Universi-

tätsgemeinde. Gleichzeitig war er in den Jahren 1902 - 19 als Lehrkraft an der Tartuer Univer-

sität tätig (von 1902 Privatdozent für die Geschichtstheologie und 1909 als Professor für die

praktische Theologie).

Am 25. Februar 1918 wurde Tartu von den deutschen Truppen erobert, aber die Universität

konnte jedoch in dieser besetzten Stadt am 1. September ihre Türen öffnen. An der Universi-

tät war auch Professor Traugott Hahn tätig. Leider konnte die Universität nur ein paar Monate

arbeiten, denn am 22. Dezember fiel Tartu unter die Rote Armee und am 30. Dezember wur-

den alle Gottesdienste in der Stadt verboten sowie jeglicher amtlicher Kirchendienst.

Währen dieser 24 Tage der Okkupation wurden in der Stadt ungefähr 500 Menschen verhaf-

tet, die in den Keller der Tartuer Kreditkasse in der Kompaniestraße gebracht wurden.

Am 14. Januar 1919 wurde Tartu befreit, jedoch gelang es den Bolschewiken vor dem

Rückzug 20 auserwählte Häftlinge zu töten, unter ihnen den ersten orthodoxen Bischof Est-

lands Platon, die Oberpriester Mihhail Bleive und Nikolai Be˛anitski, den Theologieprofessor

Gotthilf Traugott Hahn und den Pastor der Tartuer Johannisgemeinde Moritz Wilhelm Paul

Schwartz.


Bischof Platon (13.07.1869–14.01.1919), mit dem bürgerlichen Namen

Paul (Pavel) Kulbusch, diente jahrelang der estnischsprachigen Gemeinde in Sankt-Peters-

burg, organisierte sowohl den Bau der Schule und Kirche als auch die Wohlfahrt und Armen-

pflege.

1917 nahm Priester Paul die Bischofsstelle in der Orthodoxen Kirche Estlands an. Seine

Einweihung fand am 31. Dezember 1917 in Tallinn, an der Alexander-Newsky-Kathedrale

statt und sein Bischofsname wurde Platon.

Im Jahre 1918, am 21. Dezember, ergriffen zum zweiten Mal die Bolschewiken in Tartu die

Macht und es kam zu einer starken Unterdrückung jeglicher religiösen Tätigkeit. Der Bischof

war gezwungen wegen seiner Krankheit in der Stadt zu bleiben und konnte sie nicht verlas-

sen. In dieser komplizierten Situation entschlossen sich die orthodoxen, protestanten, katho-

lischen und jüdischen Geistlichen gemeinsam zu handeln. Der heilige Bischof Platon segnete

sie alle und sagte: ”Wie schwer die Zeiten auch immer sind, die Gott uns geschickt hat, sind

sie doch voller Segen, weil wir jetzt tiefer verstehen werden als je zuvor, was wir aber schon

längst hätten verstehen müssen – nämlich, dass zwischen den verschiedenen Glaubensbe-

kenntnissen mit unterschiedlichen Namen nur durch Menschen gebaute Wände bestehen.

Hoch über diesen Wänden thront Gott in Seiner Herrlichkeit – und Er ist der himmlische Va-

ter für uns alle.”

Am Abend des 2. Januar wurde Bischof Platon von den Bolschewiken in der Nähe seines

Hauses verhaftet. In der Miliz-Zentrale jubelten sie vor Freude, als sie erfahren hatten, dass

der Gefangene tatsächlich der orthodoxe Bischof Platon ist. Seine Gefangenschaft dauerte 12

Tage, die voll von Demütigungen waren. Der Bischof, indem er standhaft und seinem Glau-

ben treu blieb, tröstete und ermutigte seine Mithäftlinge und bat sie darum, im Falle der Bef-

reiung an alle Orthodoxen Estlands seinen Segen weiterzugeben. Zu dieser Zeit war der

Bischof schon fest davon überzeugt, dass er hingerichtet wird.

Im Gefängnis las Platon oft sein griechisches Evangelium vor. Auf Befehl des Kommissars,

das Lesen zu beenden, antwortete der Bischof: „Sobald ich wieder in Freiheit bin, preise ich

Gott.”

Am 14. Januar 1919 wurde Bischof Platon im Keller der Tartuer Kreditkasse zusammen mit

anderen Geistlichen, sowie weitere 14 Ehrenbürger der Stadt Tartu ermordet.


Eduard Profittlich (9.11.1890–22.02.1942) wurde in Birresdorf (Deutschland) geboren. Zu Tode kam er aber im Gefängnis in Kirow, in Russland. In Estland lebte er in den Jahren 1930 – 1941. Im Jahr 1936 wurde er an der Tallinner Peter-Pauli-Kathedrale zum Bischof geweiht.

Als Pater Eduard in Estland ankam, wurde die katholische Kirche hier im allgemeinen als

polnische Kirche angesehen und im Prinzip war sie auch polnisch. Bereits im Mai 1931 er-

nannte aber Papst Pius der Elfte den Pater Eduard zum apostolischen Administrator, was also

bedeutete, dass aus ihm das Haupt der katholischen Kirche im ganzen Gebiet Estland wurde.

In diesem Amt durfte Eduard Profittlich fast zehn Jahre dienen. Sein Hauptziel war, „aus der

polnischen Kirche” eine estnische zu gestalten. Während der kurzen Zeit, die ihm gegeben

war, gelang es ihm überraschend viel zu schaffen. Für die anderen galt er als anregendes Vor-

bild; schon bald fing er an auf Estnisch zu predigen und schreiben, auch wurde ihm im Jahr

1935 die estnische Staatsbürgerschaft erteilt.

Unter den Menschen galt er als guter Hirte und sein Rat war auch unter Nichtkatholiken hoch

gefragt. Im Jahr 1933 gründete er eine katholische Zeitschrift, die auch außerhalb der katho-

lischen Kirche weitverbreitet war und die eine hohe Anerkennung sogar unter vielen Intel-

lektuellen der damaligen Republik Estlands fand.

Am 22. Juni 1941 unterschrieb der Volkskommissar für Staatssicherheit, Major Boris Kumm

den Durchsuchungs- und Verhaftungsbefehl von Erzbischof Eduard Profittlich, der der

Spionage angeklagt wurde. In der Nacht auf den 27. Juni kam es zu seiner Verhaftung im

Amtsquartier, und die Durchsuchung dauerte mehrere Stunden.

Erst im Jahr 1990 wurde es möglich, die NKVD-Unterlagen zu Eduard Profittlich ken-

nenzulernen. Aufgrund dieser Dokumente wissen wir, dass am 27. Juni 1941 unter anderem

die Kartothek der Gemeindemitglieder der Tallinner katholischen Kirche, die Handschriften

der deutsch-, polnisch- und estnischsprachigen Predigten, der Briefwechsel mit dem Papst und

jeder andere Briefwechsel beschlagnahmt wurde. Erst Jahre später konnten wir schlie ß lich er-

fahren, dass Eduard Profittlich am 21. November zur Erschie ß ung verurteilt wurde, dass er

aber viel früher, nämlich am 22. Februar 1942 im Gefängnis in Kirow (Russland) zu Tode

kam.

Erzbischof Eduard Profittlich hatte die Möglichkeit, Estland vor der sowjetischen Besetzung

zu verlassen und nach Deutschland zu gehen, doch entschloss er sich bei seiner Herde zu blei-

ben. Er war bereit wegen seines Glaubens auch den Märtyrertod anzunehmen. Im Brief vom

8. Februar 1941 an seine Verwandten steht es geschrieben, dass ein Hirte bei seiner Herde

sein soll, um sowohl an ihren Freuden als auch Leiden teilzuhaben. Im Brief stand auch, dass

es für ihn eine große Freude sei, den Beistand Gottes zu erfahren, dem wir alles gegeben ha-

ben und dass er selbst bereit ist, Ihm auch sein Leben zu geben. „Mein Leben – und wenn nö-

tig, dann auch mein Tod – sind Leben und Tod für Christus.”Das Verfahren seiner Heiligsprechung ist bei der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse im Vatikan eröffnet und es kann sein, dass er zum ersten seligen Märtyrer in der katholischen Kirche Estlands wird.


Hugo Bernhard Rahamägi (2.06.1886–1.09.1941), der spätere Bischof

der Evangelisch -Lutherischen Kirche Estlands.

Die erste Schule, die er besucht hatte, war die Kreisschule in Jõgisoo. Darauf folgte das Stu-

dium am Gymnasium Nikolai des Ersten in Tallinn (in den Jahren 1895-1905). Das Gymna-

sium absolvierte er mit Auszeichnung.

In den Jahren 1906-1913 studierte er Theologie in Tartu. Leider unterbrach er sein Studium

mehrfach, weil er sich Unterhalt verdienen musste. Zusätzlich ließ er sich auch an der Berliner

Universität ausbilden und im Jahr 1924 verteidigte er dort seine Doktorarbeit. In den Jahren

1924-1925 arbeitete er als Minister für Bildungswesen bei der Verwaltung von Friedrich Karl

Akel und Jüri Jaakson.

1926 wurde er ordentlicher Professor für Theologie und 1928 Dekan der theologischen Fakul-

tät. Am 19. Juni 1934 wurde er vom Kirchentag Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche

erwählt.

Hugo Bernhard Rahamägi war auch Ehrendoktor an der Universität Uppsala (1932), Cavalier

des Großkreuzes der Ritterschaft der Weißen Rose Finnlands (1937), Cavalier des Verdiens-

tordens erster Klasse des Roten Kreuzes Estlands (1938), außerdem noch Cavalier von weite-

ren Verdienstorden.

Hugo Bernhard Rahamägi wurde am 26. April 1941 verhaftet. Am 25. Juli 1941 wurde er

vom Tribunal der Militärdivisionen der NKWD des Oblast Kirov aufgrund der Paragraphen §

58-13 zum Erschießen einschließlich Beschlagnahme seines ganzen Eigentums verurteilt. So-

weit es uns bekannt ist, wurde er am 1. September 1941 um 18.15 erschossen.